Die Rektoratsreden

Die Sitte der regelmässig und rituell wiederkehrenden Reden mit offiziellem Charakter stammte aus dem deutschsprachigen Universitätsraum von Kiel bis Wien, von Strassburg bis Dorpat (Tartu), entstand etwa um 1800, und drang auch seit dem frühen 19. Jahrhundert in die Schweiz ein. Sie wurde offenbar mitgebracht von den vielen deutschen Professoren, die damals nicht selten aus politischen Gründen in die Schweiz kamen und hier neue Wirkungsstätten fanden.

Die Autoren der Rektoratsreden waren Wissenschaftler, die sich mit der Politik, dem Staat und der Gesellschaft auseinandersetzen mussten. Die Reden gewähren weiträumige Zustandsüberblicke der Universitäten zu allen Themen und bieten einen nuancenreichen Einblick in die Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte.

Natur- versus Geisteswissenschaft
Ein Dauerbrenner bei den Rektoratsreden war die Erörterung einer komplexen Frage des Fachs, das der Rektor als Professor vertrat, für eine breitere Öffentlichkeit. Wenig überraschend dominieren im Turnus der Fakultäten juristische, theologische, medizinische und philosophische Inhalte die Reden. Mitte des 19. Jahrhunderts begann auch an der Universität Basel der stetige Bedeutungszuwachs der Naturwissenschaften. Darüberhinaus lassen sich Themenkonjunkturen feststellen. Waren es zu Beginn des 19. Jahrhunderts die politischen Auseinandersetzungen, die Beziehung zum neuen Staat und die Rolle der Universität darin, beschäftigen sich die Rektoren in ihren Reden spätestens ab den 1860er Jahren mit sich selbst und mit ihren verschiedenen Fächern. Die Einheit von Lehre und Forschung und die Volluniversität wurden dabei als unverzichtbar betrachtet, jedoch sahen die Redner all dies in Gefahr. Sie forderten die Einheit der Wissenschaften trotz auseinanderstrebender Einzeldisziplinen. In diesem Zusammenhang wurde das Verhältnis zwischen den Geistes- und Naturwissenschaften immer stärker thematisiert. Die beiden Richtungen innerhalb der philosophischen Fakultät entwickelten sich auseinander.

Beim Ringen der «klassischen Alten» mit den «homines novi» der Naturwissenschaften ging es um Begriffsinhalte und Ziele der «Bildung». Die Naturwissenschaftler äusserten sich in ihren Rektoratsreden dazu kaum. Sie stellten eine komplexe Fragestellung ihres Fachs vor und präsentierten den Zuhörern neue, aufregende Erkenntnisse. Die meisten sahen ihr Fach positiv und in grosser Entwicklung. Demgegenüber standen Theologen und Philosophen, die ihre Fächer in der Krise wähnten. Aus den Rektoratsreden geht hervor, dass die Theologie mit mehreren Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Ihre Rolle im neuen liberalen Staat war völlig unklar, das Verhältnis zu den Naturwissenschaften war angespannt und die Ausrichtung des Fachs wurde dadurch ständig hinterfragt und neu beurteilt.

Daneben sprachen die Rektoren über die Einheit von Forschung und Lehre, aber auch über die grossen, gesellschaftsbewegenden Ereignisse von der Gründung des Bundesstaates über die Weltkriege und ihre Folgen bis zur heutigen globalen Herausforderung; auch brachten sie wiederholt Beiträge zur Geschichte der eigenen Universität oder Fakultät.

Magnifizenzen hatten immer Sorgen. Am Dies konnten und durften sie wenigsten einmal im Jahr die Gegenwarts- und Zukunftssorgen höchst offiziell einer geneigten Öffentlichkeit mitteilen. Dauerprobleme, viele bis heute: Schliessungsgefahren, der Rechtfertigungsdruck auf den Geistes- und Sozialwissenschaften, die «(Fach-) Hochschulfrage», die Platznot, zu viele oder zu wenige Studierende, das Frauenstudium, Mobilität und Wettbewerb, Wissenschaftsfreiheit und Autonomie und natürlich immer wieder die Mittelknappheit.

Öffentlichkeit
In den ersten zwanzig Jahren des 19. Jahrhunderts befand sich die Universität Basel im Kreuzfeuer der Politik. Die Reden spiegelten diesen Sachverhalt wieder. Es ging um die universitäre Selbstpositionierung und Akzeptanz in Politik, Gesellschaft und in den Medien.

Rektoren hatten Hochschule und Öffentlichkeit etwas zu sagen, und Medienpräsenz war fast immer gegeben. Man hörte ihnen zu, wenn auch mitunter widerwillig. Der dies academicus war trotzdem eine einmalige Gelegenheit für einen Rektor, eine breite Öffentlichkeit auf universitäre und wissenschaftliche Themen hinzuweisen. In der Gestalt des Rektors präsentierte sich die Universität. Beim Umzug durch die Stadt wurde bewusst der Kontakt mit den Menschen gesucht. Heute gibt es andere Kommunikationskanäle als bloss eine flammende Rede am Stiftungsfest. Bis in die spähten 1970er Jahre war aber die Rektoratsrede der wichtigste Programmpunkt am Dies. Zugegeben - vielleicht war es auch in manchem Jahr das Festbankett.